Vertragsstrafe wegen fehlender Abnahmereife oder Nutzungsentschädigung? Gütliche Einigung im Streit um über 46 Mio. EUR
Bei der in den Stuttgart Commercial Court eingebundenen 31. Kammer für Handelssachen waren zwei parallel betriebene Klageverfahren anhängig, in denen die Bestellerin einer zweistelligen Zahl von Großmaschinen gegen den Hersteller vorging. Die Konzernmutter der Klägerin hat ihren Sitz in Großbritannien, die Beklagte gehört einer Unternehmensgruppe aus der Schweiz an. Der Gesamtstreitwert belief sich auf über 46 Mio. Euro. Die Klägerin machte Vertragsstrafen-Ansprüche gegen die Beklagte von in Summe rund 23,5 Mio. EUR geltend. Sie berief sich insbesondere auf die fehlende Abnahmereife und technische Mängel der Maschinen, die ihr allerdings von der Beklagten überlassen worden waren und die tatsächlich genutzt wurden – nach Darstellung der Klägerin, um einen noch größeren Schaden zu vermeiden. Die Beklagte wiederum beanspruchte im Wege der Widerklage Zinsen wegen angeblich verspäteter Zahlungen, Nutzungsentschädigung u.a. von in Summe rund 23,8 Mio. EUR.
Vorbereitet durch eine Case Management Conference im November 2020, hatte Ende Februar 2021 eine erste mündliche Verhandlung mit dem Kammervorsitzenden Dr. Schumann und zwei Handelsrichtern stattgefunden. Die Kammer hatte nach einem ausführlichen Hinweisbeschluss einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Nachterminlich verhandelten die Parteien im Sommer 2021 - dem Vernehmen nach intensiv über mehrere Wochen - außergerichtlich weiter. Schließlich einigten sie sich außergerichtlich. Beide Großverfahren (31 O 51/20 KfH und 31 O 52/20 KfH) sind erledigt. Über die Details des gefundenen Kompromisses wurde öffentlich nichts bekannt. Dem Vernehmen nach vereinbarten die Parteien Stillschweigen.
Sport, Daten und zwei ehemalige Vorstandsmitglieder
Die Kläger der beiden Verfahren waren Vorstandsmitglieder einer AG, in die die Profiabteilung eines bekannten Sportclubs ausgegliedert worden war. Beide waren wegen (vermeintlicher) Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen den Verein wegen datenschutzrechtlicher Verstöße abberufen worden. Der Vorsitzende der 31. Kammer für Handelssachen, Dr. Schumann, beriet sich beim ersten der Verfahren im Vorfeld des bereits anberaumten Termins mit den Handelsrichtern und unterbreitete im Anschluss den beteiligten Anwälten vorterminlich den Vergleichsvorschlag der Kammer. In beiden Verfahren (31 O 13/21 KfH und 31 O 108/21 KfH) kam es bereits vor dem jeweils anberaumten Termin zu einer gütlichen Einigung, so dass die Verhandlungstermine nicht mehr stattfanden. Die Streitwerte übersteigen jeweils 1 Mio. EUR.
Dazu sagt Dr. Schumann, der Vorsitzende der 31. Kammer für Handelssachen: „Manchmal ist eine mündliche Verhandlung wichtig, für die Parteien wie auch für die Öffentlichkeit. Manchmal haben aber beide Seiten ein Interesse, sich außerhalb des Drucks einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu einigen. Wichtig ist hier das richtige Gespür, in welchen Fällen die Kammer durch vorterminliche Vorschläge den Parteien eine Brücke zum Kompromiss bauen kann.“
Der gescheiterte „Corona-Masken“-Test
„Corona“-Masken werden getestet und zertifiziert, bevor sie in den Handel gelangen. Bei der 31. Kammer für Handelssachen war ein Rechtsstreit um einen nicht geglückten Test von „Corona-Masken“ mit einem Streitwert von 2,5 Mio. EUR anhängig. Der Importeur behauptete, die Tests seien nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und ihm sei durch das negative Testergebnis ein erheblicher Schaden durch die daraus resultierende Unverkäuflichkeit der Masken entstanden. Auch dieser Rechtsstreit endete im Mai 2022 ohne mündliche Verhandlung (31 O 7/22 KfH).
Dienstleister versus Automobilhersteller
Die Klägerin des Verfahrens erbrachte nach einer Ausschreibung aufgrund eines Rahmenvertrages Dienstleistungen für einen Automobilhersteller. Als es zwischen den Parteien wegen verschiedener Punkte zum Zerwürfnis kam und keine Bestellungen mehr getätigt wurden, setzten die Parteien den Streit vor Gericht fort (31 O 85/21 KfH). Unter anderem ging es um die Frage, ob etwa mit Blick auf getätigte betriebliche Dispositionen des Dienstleisters eine Abnahmeverpflichtung bestand. Im März 2022 nahmen die Parteien den Vergleichsvorschlag der 31. Kammer für Handelssachen an. Der mit Blick auf Gremienvorbehalte widerruflich geschlossene Vergleich hatte Bestand.
Streitigkeiten aus Unternehmenskaufverträgen
Die weitaus meisten der bei der 31. Kammer für Handelssachen seit Gründung des Commercial Court im Oktober 2020 anhängig gemachten Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit Unternehmenskaufverträgen (eine zweistellige Zahl) sind bereits erledigt.
Ausblick: Öffentlichkeitswirksame Verfahren der 31. Kammer für Handelssachen
Seit Gründung des Stuttgart Commercial Court im Oktober 2020 hat sich die 31. Kammer für Handelssachen (Stand: Mai 2022) mit 13 Streitigkeiten aus beiderseitigen Handelsgeschäften mit Streitwerten über 2 Mio. EUR befasst, von denen bereits drei erledigt werden konnten (alle durch unstreitige Erledigung). Eines der noch anhängigen Verfahren enthält u.a. einen Zahlungsantrag über mehr als 68 Mio. EUR und überschreitet damit sogar die Streitwertgrenze bei den Gebühren. In den genannten 13 Verfahren streiten die Parteien insgesamt um über 180 Mio. EUR (im Durchschnitt pro Verfahren: rund 13,9 Mio. EUR).
Die 31. Kammer für Handelssachen ist außerdem für aktienrechtliche Spruchverfahren zuständig. Derzeit sind fünf Spruchverfahren anhängig, in denen es um die Bewertung von Unternehmen zur Ermittlung der Abfindung von Minderheitsaktionären geht. Die Summe der gutachterlich im Vorfeld ermittelten Unternehmenswerte, die von den Antragstellern der Spruchverfahren noch für zu niedrig gehalten werden und die deshalb gerichtlich überprüft werden müssen, beläuft sich auf über 3 Mrd. EUR. Seit dem vierten Quartal 2017 hat die Kammer bereits acht Spruchverfahren mit aggregierten Unternehmenswerten von über 5,7 Mrd. EUR erledigt. In einem noch anhängigen Spruchverfahren anlässlich des „Squeeze Out“ bei der WMF AG entscheiden die ausgeschiedenen ehemaligen Minderheitsaktionäre aktuell (Stand: Mai 2022) über die Annahme eines auf Initiative der Kammer unterbreiteten Vergleichsangebots der Antragsgegnerin.